Axel Matthias
Ernst-Bloch-Straße 20
12619 Berlin

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

in den letzten Monaten haben Sie wiederholt dazu aufgerufen, die Demokratie zu verteidigen. Sie bezogen sich dabei insbesondere auf politische Angriffe seitens der politischen Rechten. Aber auch die regierenden Parteien baten Sie zu Gesprächen. Am meisten wird die Demokratie unterdessen von gleichgültigem und leichtfertigem Verwaltungshandeln gegängelt, das politisch grundiert ist. Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus Berlin demonstrieren.

Seit einigen Jahren wird in Berlin intensiv der Wohnungsbau voran getrieben, Schwerpunkt des Bauens ist Ostberlin. Hintergrund ist eine starke Nachfrage durch permanenten Zuzug nach Berlin, auch durch Flüchtlinge. Berlin ist bereits stark versiegelt, der Bausenat sucht nach schnellen Lösungen. Bauland muss erschlossen werden.

Der Bausenat argumentiert, das Ostberliner Stadtparlament hätte mit dem Beitritt 1990/91 die vorhandene Bauplanung Ostberlins nicht übergeleitet. Ergebnis sei deshalb: Ostberlin ist nicht beplant und kann in Gänze nach §34 BauGB zugebaut werden. Das heißt, Ostberlin ist eine einzige Baulücke, Innenbereiche können ohne Anhörung und Beteiligung der BestandsmieterInnen verdichtet werden. Dabei gehen meist auch Kinderspielplätze verloren. Selbstverständlich gibt es eine lückenlose Beplanung Ostberlins. Westberlin gilt hingegen als beplant, muss in der Regel nach Plänen bebaut werden. In Berlin gelten also im

33. Jahr der deutschen Einheit zwei Baurechte. Und diese Teilung wird politisch weiterhin zementiert!

Diese Situation wird nun vom sozialdemokratisch geführten Bausenat extensiv ausgenutzt.

Die Mieter bekommen eine schriftliche Ankündigung, dass gebaut wird. Sobald die Fällperiode heran ist, kommen die Kettensägen und räumen die grünen Innenhöfe weg.

Dann werden die Flächen mit der höchstmöglichen Baulast verdichtet. Nachbarschaften werden beschädigt, die Artenvielfalt reduziert und die Klimaresilienz der Stadt erheblich verstümmelt. In Berlin wurde 2019 die Klimanotlage erklärt. In den letzten Jahren sind viele Innenhöfe insbesondere in Lichtenberg, Köpenick und Treptow, Friedrichshain und Pankow gefallen. Bei uns in Hellersdorf ist der erste von sechs geplanten Innenhöfen gefallen. Mit der am 1. Oktober beginnenden Fällperiode soll ein weiterer folgen. Eine Nachbarin fragt mich immer wieder verzweifelt: „Warum nehmen die uns so was Schönes weg?“

Inzwischen besteht seit vier Jahren ein Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung

(BBNS) (www.nachhaltigestadtentwicklung.berlin), in dem 37 Initiativen zusammen arbeiten, die gegen die maßlose Vernichtung von Stadtgrün kämpfen. Dabei geht es uns nicht nur um Klimaresilienz und Artenvielfalt, sondern vor allem um den Erhalt der Nachbarschaften. Wir wollen mit dem Bausenat und den städtischen Wohnungsbaugesellschafen kommunizieren, werden aber systematisch missachtet. Wir schlagen Kompromisse vor, die aber systematisch ausgeschlagen werden. Es zählt nur die maximale Verdichtung der Höfe mit Beton. Es zählen nur die errechneten nackten Zahlen.

Der Senat schlägt alle Vorhersagen zum Klimawandel in die Hitze. Höfe, die seit den 1950er und 1960er Jahren gewachsen sind, werden dem kurzzeitigen Zahlenjubel geopfert. Jedes Jahr erreichen uns neue Analysen und Vorhersagen über den Klimawandel. Gerade Berlin und Brandenburg gehören zu den heißesten und trockensten Regionen Deutschlands. Wir Bürgerinnen und Bürger wollen dem Klimawandel trotzen, sind aber auch für Wohnungsbau, der mit uns abgestimmt wird.

Am 3. Oktober wird ein hoher Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland die deutsche Einheit und die Leistung der Ostdeutschen würdigen, am 4. Oktober kreischen in Ostberlin die Kettensägen. So ist es um unsere Demokratie bestellt. Es ist zum Verzweifeln, aber wir kämpfen weiter für unsere Rechte!

Ich grüße Sie herzlich aus Berlin-Hellersdorf
Axel Matthias 11.07.2023

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