Die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbh zieht die Bebauung des Innenhofes der Taborstraße 9 im Wrangelkiez/ Kreuzberg zurück
zur PDF – Offner Brief des BBNS an die Aachener vom 14.07.2022
zur PDF – Stellungnahme der Aachener zum Neubau Taborstr. 9 vom 08.06.2022
Sehr geehrte Frau Sett, sehr geehrter Herr Meister,
sehr geehrte Damen und Herren,
Sie haben in der oben genannten Presseinformation mitgeteilt, dass Sie auf den von Ihnen im Rahmen des Bauvorhabens auf dem Grundstück Taborstraße 9 geplanten dreigeschossigen Neubau (3 Wohneinheiten á 50 qm) angesichts der öffentlichen Kritik verzichten würden. Wir begrüßen diesen Entschluss sehr. In Ihrem Schreiben bringen Sie Unverständnis und Kritik darüber zum Ausdruck, dass – wie Sie meinen – in der lokalen Diskussion individuellen Interessen einiger Anwohner mehr Gewicht beigemessen würde, als den von Ihnen verfolgten allgemeinen Interessen an zusätzlichem bezahlbaren Wohnraum.
Dem widersprechen wir ganz entschieden. Nicht nur, weil Ihre Wahrnehmung im Konkreten der tatsächlichen Situation nicht gerecht wird, sondern vor allem, weil es bei dieser Differenz um grundsätzliche Fragen einer sozial und ökologisch nachhaltigen Stadtentwicklung geht und gerade nicht um bornierte individuelle Interessen einiger Anwohner und Anwohnerinnen, wie Sie unterstellen. Natürlich sind auch individuelle Interessen von Anwohner*innen – wie auch
von Eigentümer*innen – völlig legitim und verdienen einen respektvollen Umgang, aber sie unterliegen selbstverständlich der Abwägung mit allgemeinen Interessen der Gemeinde.
Wir meinen, dass Sie bei der Planung dieses Bauvorhabens schlecht beraten worden sind. Anders erklärt sich uns nicht, dass Sie dem von Ihnen formulierten Leitbild Ihrer Unternehmenspolitik so sehr zuwider handeln wollten. „Die soziale Verantwortung gegenüber den einzelnen Menschen und der Gesellschaft im Allgemeinen steht im Vordergrund unserer Immobilienleistungen“, schreiben Sie. Sie wollen ein attraktives Wohnumfeld und lebenswerte Kommunen schaffen. – Diesen Zielen widersprach aber Ihr Vorhaben, neben der Aufstockung des Bestandshauses und dessen Modernisierung ein neues, 3-geschossiges „Gartenhaus“ in den Hof zu bauen und damit die dort bestehende grüne Oase zu zerstören. Der ökologische und stadtklimatische Wert des bestehenden Gartens als Rückzugsort für Tiere und Menschen, sowie Quelle der Abkühlung an heißen Tagen, wäre selbst nach Jahren und Jahrzenten nicht wiederherzustellen.
Sie weisen in ihrer Presseerklärung selbst auf das Problem der Flächenversiegelung in Zeiten des Klimawandels und der Aufheizung der Städte hin, aber wollen mit Ihrer Verdichtung Flächen in einem ohnehin hochverdichteten Stadtraum versiegeln und kühlendes Grün beseitigen. Richtig, es gibt Zielkonflikte beim Wohnungsneubau, die Interessenabwägungen erfordern. Auch in der Taborstraße stellt sich die Frage nach Nutzen und Schaden einer solchen Verdichtung. Dabei geht es zunächst nicht um eine immobilienwirtschaftliche Gewinn- und Verlustrechnung, sondern um Gewinn und Verlust an Wohn- und Lebensqualität für die heutigen und morgigen Bewohner dieses Quartiers. Hätte der Nutzen dieser drei 50 qm Neubauwohnungen (ob Eigentum oder Miete) im Hof den Verlust an Grün- und Freifläche für die Anwohner wie für den ganzen Kiez aufgewogen? Wir meinen, dass das Ergebnis der Abwägung in diesem Fall sehr eindeutig gegen diese Verdichtung spricht.
Sie schreiben, dass Sie doch lediglich ein im Krieg zerstörtes Hinterhaus wiedererrichten wollten. Auch diese Darstellung weist auf eine Schlechtberatung hin. Ihre Planung hat mit einer Wiederherstellung der Vorkriegsbebauung nicht das Geringste zu tun. Im 2. Weltkrieg wurde das Wohnhaus Taborstr. 9 komplett zerstört und anschließend abgerissen. Dabei hatte die städtische Planung ganz bewusst auf eine Wiederherstellung der engen Hinterhausbebauung verzichtet und in den 50er Jahren nur ein Vorderhaus errichtet. Statt der engen ungesunden Bauweise des wilhelminischen Berlins mit ihren Hinterhöfen war das neue städtebauliche Leitbild der Nachkriegszeit von einer offenen und luftigen Bebauung mit viel direkter Grün- und Freifläche im Geiste des Reformwohnungsbaus in der Tradition des Bauhauses bestimmt. Dieses Leitbild prägte den Wohnungsneubau in den Nachkriegsjahrzehnten in der ganzen Stadt, im West- wie im Ostteil. In einer Zeit von Klimanotlage und Aufheizung der Städte ist dieses städtebauliche Leitbild aktueller denn je und überlebenswichtig für klimaresiliente gesunde Wohn- und Lebensverhältnisse in den großen Städten.
Wir hoffen, dass Sie jetzt verstehen, dass es hier nicht um eine unangemessene Rücksichtnahme auf individuelle Interessen weniger Anwohner geht, sondern um die Zukunftsinteressen unserer Stadt. Die überwiegende Anzahl der Unterzeichner*innen dieses Schreibens sind keine Anwohner*innen. Wir wohnen oft in entfernten Wohngebieten. Wir haben überall in der Stadt die gleichen Probleme und das gleiche Ziel eines sozial und ökologisch nachhaltigen und klimaresilienten Städtebaus. Daran mitzuwirken, entspräche aus unserem Verständnis dem christlich-sozialen Unternehmensleitbild der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH. Sie sind eingeladen, daran mitzuwirken. Der nun beschlossene Verzicht auf die Hofbebauung wäre so ein erster Schritt.
Mit freundlichen Grüßen
Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung (BBNS)
hier vertreten durch
Dr. Michail Nelken
Bürgerinitiative Jahnsportpark
Britta Krehl
Grüner Kiez Pankow
Freya Beheschti
Tabor9 – Rettet die Gärten
Axel Matthies
Grüne Höfe Hellersdorf Süd
Karin Spieker
Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße e.V.
Katja Brauer
Bürgerinitiative Plänterwald